Art. 338 Abs. 3 PGR: Ein grundsätzlicher Widerspruch zum liechtensteinischen Aktienrecht?

07.06.2023 , Allgemein

Von Thomas Plattner

 

Die Übertragbarkeit von Befugnissen der Generalversammlung einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft auf andere Organe in der Praxis

Beinahe täglich begegnet man als in der Sache Befasster in den Statuten einer (liechtensteinischen) Aktiengesellschaft folgender Formulierung:

„Die Generalversammlung ist das oberste Organ der Gesellschaft.
Ihre Befugnisse richten sich nach Gesetz und Statuten.

 

Organe und Kompetenzverteilung in der liechtensteinischen Aktiengesellschaft

Die Generalversammlung, der Verwaltungsrat und die Revisionsstelle sind zwingende Organe einer Aktiengesellschaft. Das liechtensteinische Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) stellt in Art. 338 Abs. 1 PGR den Grundsatz auf, dass die Generalversammlung der Aktionäre das oberste Organ der Aktiengesellschaft ist.

Rechtsverhältnisse der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und deren Zuteilung auf die Organe der Aktiengesellschaft werden - im Rahmen des Gesetzes – durch die Statuten als die „Verfassung der Aktiengesellschaft“ geregelt.

 

Erhöhter Gestaltungsspielraum in Liechtenstein

Im Gegensatz zur Schweiz, wo der Generalversammlung „unübertragbare Befugnisse“ zustehen  , erlaubt Art. 338 Abs. 3 PGR die statutarische Abänderung der gesetzlichen Rang- und Kompetenzzuweisungsordnung und eröffnet den Gründern einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft einen signifikanten Spielraum bei der Gestaltung der Statuten und somit bei der Kompetenzverteilung zwischen den Organen.

Die o.g. Norm lässt die ganze oder teilweise Übertragung der gesetzlichen und statutarischen Aufgaben der Generalversammlung auf ein anderes Organ der Gesellschaft zu. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig, somit ist nach dem Gesetz auch eine völlige („ganze“), statutarische Übertragung der gesetzlichen Aufgaben der Generalversammlung auf ein anderes Organ - in der Regel und in der Praxis die Verwaltung der Gesellschaft - erlaubt.

 

Praktische Relevanz 

So oft man der einleitend erwähnten Formel begegnet, so selten liest man den Zusatz:

„Ihr (der Generalversammlung) stehen, sofern dem Verwaltungsrat nicht eine besondere Zuständigkeit zukommt und Befugnisse der Generalversammlung nach Art. 338 Abs. 3 PGR nicht ausdrücklich auf den Verwaltungsrat übertragen wurden, folgende unübertragbare Befugnisse zu: (…)“.

Hierdurch eröffnet sich den Gründern einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft der Zugang zu einem gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsinstrument, welches – je nach Konstellation im Einzelfall – in der Praxis eine im Vergleich zur Schweiz kosteneffizientere, wirtschaftlichere und insbesondere eine auf die individuellen Bedürfnisse der Gründer zugeschnittene Ausgestaltung der Statuten unter Berücksichtigung der Corporate Governance und im Einklang mit dem Gesetz ermöglicht.

 

 Fazit

Die bisher in der Lehre vertretene Rechtsansicht  , nämlich dem Art. 338 Abs. 3 PGR generell-abstrakt die Anwendbarkeit zu versagen, ist strikt abzulehnen, denn die liechtensteinische Rechtsordnung würde ohne Grund an Flexibilität verlieren - obendrein würde der liberale Charakter   des Personen- und Gesellschaftsrechts geschwächt. Die Prüfung der rechtskonformen Anwendung der besagten Norm und in der Folge die Genehmigung der statutarischen Umsetzung im Einzelfall obliegt dem Amt für Justiz. Ein grundsätzlicher Widerspruch zum liechtensteinischen Aktienrecht wäre dann zu erblicken, wenn die Anwendbarkeit von Art. 338 Abs. 3 PGR generell abgelehnt würde. Dies würde tatsächlich zu Rechtsunsicherheit führen.

 

Wir beraten sie gerne hinsichtlich der Gründung von Gesellschaften und stehen Ihnen für sämtliche Fragen in diesem Zusammenhang gerne für ein Beratungsgespräch zur Verfügung.
 

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